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Balika Vidialya Khadigram

Schule statt schuften! Lernen statt heiraten!

Mit der Idee Mädchenschulen aufzubauen startete der Verein „Mädchenschule Khadigram“ 2003 mit der Eröffnung einer Internatsschule am gleichnamigen Ort Khadigram in Bihar, Nordost Indien.

2003 gegründet -
Internatsschulprojekt
für 90 Mädchen

2016 abgeschlossen - Nach 13 Jahren wurde das Projekt an die indischen Partner übergeben, damit sie es mit staatlicher Hilfe eigenständig weiterführen.

Wir haben für mehr als 600 Mädchen die Grundbildung möglich gemacht.

Auch heute, in 2017,  machen wir eine fünfjährige Grundschulzeit möglich. Internatsschulen ließen sich aus Gründen der in Indien weit verbreiteten Korruption leider nicht fortsetzen. Hier zu betrügen ist noch leichter als an einer Ganztagsschule. Daher haben wir uns für dieses andere Konzept entschieden. An unseren Ganztagsschulen bekommen in erster Linie Mädchen eine Bildungschance, denn ihnen wird in der indischen Gesellschaft der Zugang zu Bildung aus den verschiedensten, fadenscheinigen Gründen heraus, häufig verwehrt. Mit Beschluss der Mitgliederversammlung und auf Bitten unseres Projektpartners in Anand, nehmen wir seit 2016 auch Jungen an unserer Schule in Anand auf. Allerdings maximal 25 % der Gesamtschülerzahl. An unseren Gesamtsschulen sollen alle Kinder ein Stück normaler Kindheit erleben dürfen. Lernen und spielen, ohne schwere, körperliche Arbeiten verrichten zu müssen und erfahren wie es ist, in einem gesunden Körper zu wohnen, denn wir decken die Grundbedürfnisse der Kinder an Nahrung, Kleidung und medizinischer Basisversorgung.


Um 800 vor Christus wurde das Gesetzbuch des Manu niedergelegt. Daran orientiert man sich in Indien auch heute noch. Hier steht geschrieben:

"Der Mann sei das Haupt. Sohn und Gattin der Bauch. Sein Schatten ist die Dienerschaft. Die Tochter aber ist das ärgste Elend."

Khadigram wurde 1955, kurz nach der Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien, von einigen "Gandhianern" gegründet. Eine Gruppe von Leuten kaufte brachliegendes Land in der Region und bewirtschaftet es seitdem mit Erfolg. Die Lebensphilosophie beruht auf einer Idee Gandhis: das autarke Dorf. Das heißt, die Dinge des täglichen Bedarfswerden auch heute noch möglichst selbstgefertigt. Nahrungsmittel werden weitgehend selber produziert, der Anbau von Reis, Obst und Gemüse gehört dazu. Die Gandhianer sind strenge Vegetarier, das Nichttötungsgebot hat für sie oberste Priorität. Es ist vollkommen üblich, selbstgesponnene und gewobene Kleidung zu tragen: Den "Khadi". Die Stoffbearbeitung erscheint etwas grob, die Kleidung ist im Übrigen aber angenehm zu tragen, vor allem bei den vorherrschenden Temperaturen.

Wohn- und Wirtschaftshäuser werden mit einfachen Mitteln, meistens aus Lehm und mit wenig Einsatz von Maschinen – aber vielen Menschen – selbst gebaut. Für die Bevölkerung aus der Umgebung besteht dadurch immer wieder die Möglichkeit, ein bisschen Geld zu verdienen. In einer Region, in der die Arbeitslosigkeit bei nahezu 75 Prozent liegt, ist das sehr wichtig. Ansonsten ist die Zeit auch für Gandhianer nicht stehen geblieben, denn natürlich lässt sich nicht alles in Eigenregie herstellen und produzieren. Das fängt bei der Zahnpasta an und hört bei der Produktion eines Telefons oder Computers nicht auf. Aber der Geist Gandhis weht trotzdem noch weiter in diesem Land.

Das gilt auch für seine Ideen zur Frauenbildung. Denn er sagte:

"Einen Mann zu bilden ist eine Investition in ein Lebensalter. Eine Frau zu bilden ist eine Investition in eine ganze Generation."

Wohl wahr! Weltweit erziehen in erster Linie Frauen die Kinder, geben Traditionen und Werte an die nächste Generation weiter. Daher konnte die Mädchenschule Khadigram von deutscher Seite her leicht an gerade diesem Ort etabliert werden, denn diese Leute räumen dem Gedanken der Bildung großen Raum ein. Die notwendigen Gebäude und das dazugehörige Areal wurden von den indischen Partnern dauerhaft mietfrei für die Mädchenschule zur Verfügung gestellt. Einem sukzessiven Ausbau der Mädchenschule hat von Seiten der Inder nichts im Wege gestanden. In der Endstufe haben die Internatsschule 90 Mädchen besucht. Unterstützung der Schule von staatlicher Seite gibt es nicht. Das Schulprojekt wird, wie alle anderen Schul und – Ausbildungsprojekte des Vereins „Mädchenschule Khadigram“ e.V. ausschließlich durch Patenschaften und Spenden aus Deutschland getragen.

Die Schülerinnen und Schüler stammen ausschließlich aus Familien von Adivasi (Stammesangehörigen) und Dalit (Unberührbaren). Es ist besonders wichtig, gerade diesen Mädchen eine Bildungschance zu geben, denn sie haben aufgrund ihrer Zughörigkeit zu den sogenannten Backward Casts und der Tatsache, dass sie "nur" Mädchen sind, ganz extrem geringe Aussichten, jemals eine Schule zu besuchen. Dieser Schule ist ein Internat angegliedert, wo alle Schülerinnen leben, was aus verschiedenen Gründen sehr wichtig ist. Zum einen sind die Schulwege für die Kinder sehr oft viel zu weit, um täglich zwei Mal zwischen Elternhaus und Schule zurückgelegt werden zu können. Zum anderen kämen die Mädchen müde von dem langen Fußmarsch in der Schule an, was der Konzentration im Unterricht mit Sicherheit nicht dienlich wäre.

Häufig verhielte es sich leider auch so, dass die Mädchen hungrig in die Schule kämen, denn in den Häusern ist, oft auch jahreszeitlich bedingt, kaum Nahrung vorhanden. Und Mädchen sind zusätzlich diejenigen, die mit Nahrungsmitteln schlechter versorgt werden, denn Vorrang haben die männlichen Mitglieder der Familien. Auch das hat Tradition, denn es gilt als Zeichen der Unterwerfung der Frau, wenn sie zuletzt isst und stets die Reste dessen, was von den männlichen Familienmitgliedern übrig gelassen wurde. Ein permanent knurrender Magen verhindert es jedoch garantiert, dass die Teilnahme am Unterricht in wünschenswertem Umfang stattfinden kann. Damit wird das Sprichwort "Ein voller Bauch studiert nicht gern" ad absurdum geführt.

Nun verhält es sich leider auch so, dass Schulmädchen, wenn sie nach Hause kommen, nicht geschont werden. Das heißt, sie würden nach dem Schulbesuch zusätzlich zu schweren körperlichen Arbeiten herangezogen werden. In der Konsequenz bedeutet das, die Mädchen säßen abgearbeitet und erschöpft im Unterricht. Logisch, dass sie dann Inhalte häufig gar nicht wahrnehmen könnten, sie wären einfach nur entsetzlich müde. Alles Umstände, die einen Schulbesuch beinahe unsinnig machen, die Wichtigkeit eines Internats aber hervorheben und verdeutlichen.

An der Mädchenschule Khadigram wird ausschließlich Grundbildung vermittelt. Die Schulzeit beträgt fünf Jahre. Während dieser Zeit haben die Schülerinnen keine Ferien. Sie dürfen nur zu großen Feiertagen oder anlässlich einer Hochzeit nach Hause in ihre Dörfer gehen und sie sollen nur zwei Mal im Monat von ihren Familienangehörigen besucht werden. Mit diesen Regeln mussten sich die Eltern (per Daumenabdruck, denn die meisten sind Analphabeten) einverstanden erklären. Sie mussten außerdem versichern, dass sie die Töchter auch wirklich für fünf Jahre an der Schule lassen. Das klingt sehr rigide und hart, ist aber notwendig. Die Schulzeit ist sehr kurz und wir möchten, dass den Mädchen ein möglichst intensiver Unterricht zuteil wird. Nach Beendigung der fünfjährigen Schulzeit könnten die Mädchen Anschluss an die sechste Klasse einer Staatsschule finden, denn der Unterricht orientiert sich selbstverständlich an den von staatlicher Seite vorgegebenen Lerninhalten.

Da der Unterricht sehr konzentriert stattfindet und es zu keinen Ausfallzeiten kommt, ist der Anschluss theoretisch möglich. Voraussetzung ist natürlich, dass die Familien dies befürworten und auch finanzieren können. Denn die weiterführenden Schulen liegen weit entfernt und kosten zwangsläufig Geld. Zwar gibt es in Indien eine gesetzliche Schulpflicht und der Schulbesuch als solcher soll kostenlos sein. Trotzdem fallen Kosten an für Schuluniform, Bücher, Hefte und dergleichen. Hinzu kämen noch Unterbringungskosten – also ein Kostenblock, der von diesen Familien kaum getragen werden kann. Und ob ausgerechnet für eine Tochter so viel investiert wird, ist noch mal eine andere Frage. Ein weiterer Hinderungsgrund wird vermutlich die Tatsache sein, dass man die nun schon recht "alt" gewordenen Mädchen schleunigst verheiraten wird. Denn es gilt als Schande, eine unverheiratete Tochter dieser Altersstufe im Haus zu haben.

Die Anfänge der Schulzeit sind für diese Kinder sehr schwer, denn sie sind es nicht gewohnt, länger still zu sitzen, sich auf Lerninhalte zu konzentrieren, diese aufzunehmen, sich zu merken und auch wiedergeben zu können. Bisher war es für die Mädchen wichtig, Holz im Dschungel zu sammeln und nach Hause zu schleppen, Wasser von oft weit entfernten Wasserstellen herbeizuschaffen, Futter für das Vieh auszureißen und nach Hause zu bringen, die Tiere oder jüngere Geschwister zu hüten, zu kochen und dergleichen schwere körperliche Arbeiten mehr. Feinmotorik musste nicht in dem Maße entwickelt werden, wie wir das von unseren Kindern fordern und was bei uns ja auch gezielt gefördert wird.

Bedingt durch diese Umstände vergeht Zeit, bis die Mädchen sich an den Schulalltag gewöhnt haben. Ein wichtiger Grund für das Leben der Kinder im Internat ist, dass eine regelmäßige Teilnahme am Unterricht gewährleistet wird. Würden die Mädchen nach Hause gehen, gäbe es viele Gründe, die Tochter nicht mehr beziehungsweise verspätet oder unregelmäßig an die Schule zurückzuschicken. Sei es, weil gerade Erntezeit ist und die Arbeitsleistung des Mädchens auf dem Feld beansprucht wird. Womöglich bekommt die Mutter ein Baby und das Mädchen muss in Haus und Küche die Arbeiten übernehmen. Oder, was ganz schrecklich ist, ein Onkel wirft ein Auge auf das junge Mädel und begehrt es zur Frau.

Kinderehe ist in dieser von alten Traditionen extrem geprägten Region durchaus üblich, auch wenn es gesetzlich verboten ist. Leben die Schülerinnen aber im Hostel, so kann man all diesen Zugriffen, egal in welcher Form, begegnen und die Mädchen dadurch beschützen. Man kann den Schülerinnen ganz andere Möglichkeit eröffnen, wenn sie rund um die Uhr auf dem Schulareal ihre Zeit verbringen. Sie erhalten regelmäßige und ausreichende Mahlzeiten, was für ihre körperliche und geistige Entwicklung sehr wichtig ist. Man kann sie leichter in Körperhygiene anleiten und ihre Hausaufgaben überwachen.

Schließlich haben sie Gelegenheit zu spielen, was für diese Kinder keine Selbstverständlichkeit ist. Im Gegenteil! Das ist etwas, was sie auch erst lernen müssen, denn Spiel kam in ihrem bisherigen Leben nie vor.

Wenn die Kinder erkranken, kümmert sich jemand um sie und veranlasst notwendige Maßnahmen. Es wird darauf geachtet, dass sie saubere und ordentliche Kleidung tragen etc. Alles gute Gründe, die für ein Leben im Internat sprechen. Insofern gestaltet sich der vierjährige Unterricht an der Mädchenschule Khadigram anders, als wir das von einer deutschen Grundschule kennen und gewohnt sind.

Zunächst einmal lernen die Mädchen an dieser Schule Hindi, eine der 17 Hauptsprachen Indiens. Das muss betont werden, denn diese Kinder sprechen in aller Regel Stammessprachen oder Dorfdialekte. Um sich im öffentlichen Leben durchsetzen zu können ist es wichtig, die Amtssprache zu sprechen! Englisch ist nicht Gegenstand des Unterrichts, wobei den Schülerinnen auch das lateinische Alphabet beigebracht wird, denn es kommt immer wieder vor, dass Worte in dieser Schrift auf Schildern oder dergleichen erscheinen. Die eigentliche Schrift, die die Mädchen an der Schule lernen, heißt Devanagari.

Dies ist eine von elf Schriften, die in Indien gebräuchlich sind, und besteht aus Schriftzeichen, die wir Europäer in der Regel nicht lesen können. Der Unterricht beinhaltet, wie bei uns auch, rechnen, schreiben und lesen. Die Mädchen haben Heimatkunde und Geschichte sowie Musikunterricht. Was diese Schule aber anders sein lässt, ist, dass die Schülerinnen zum Beispiel in der Anlage eines Küchengartens unterrichtet werden, damit sie eines Tages in die Lage versetzt werden, die Familie ausreichend mit Obst und Gemüse versorgen zu können. Sie erfahren etwas über sinnvolle Ernährung und kleine Näharbeiten. Sie erhalten Unterricht in Hygiene und werden diesbezüglich auch gezielt angeleitet: in Körperhygiene sowohl als auch bei der Pflege der Wäsche und des häuslichen Umfelds.

Die Schülerinnen erleben eine völlig neue Form der Sozialisation, denn sie nehmen gemeinsam die Mahlzeiten ein, schlafen in einem Raum (zehn Mädchen in einem Schlafraum), lernen und spielen miteinander. Uns erscheint das als nichts, was der besonderen Erwähnung bedarf, und verursacht höchstens Achselzucken. Für diese Kinder ist es aber etwas Neues und Ungewöhnliches. Bedingt durch die Reinheitsgebote der indischen/religiösen Gesellschaft ist es nicht üblich, mit anderen all die genannten Dinge gemeinsam zu tun, schon gar nicht zusammen mit Menschen ganz anderer Gesellschaftsschichten. Adivasi und Dalit sitzen normalerweise nicht zusammen, schon gar nicht bei den Mahlzeiten. Nun lernen diese Mädchen, dass das durchaus möglich ist und ihnen dadurch kein Leid widerfährt oder sonstiges Ungemach über sie kommt. Ganz im Gegenteil, sie gewinnen Freundinnen in der jeweils anderen Gesellschaft und das ist für die Zukunft und das friedliche Zusammenleben außerordentlich wichtig.


Bildungsförderung ist auch Friedensförderung!

Entwicklungszusammenarbeit soll der Anstoß zu Selbständigkeit und Unabhängigkeit sein.
Daher haben wir uns entschlossen, nach knapp 15jähriger Zusammenarbeit mit der Organisation "Shram Bharati Khadigram", die Kooperation zu beenden. Nachdem es für die indischen Partner zur  Selbstverständlichkeit wurde, dass regelmäßig ausreichende Unterstützung aus Deutschland bereitgestellt würde, schien es für uns an der Zeit sich neuen Zielen zuzuwenden. Wir haben den Partnern empfohlen sich für das von der indischen Regierung aufgestellte "Kasturba Gandhi" Programm zu bewerben, damit die Schule in ähnlicher Form und im Sinne der Mädchen weitergeführt werden kann.

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